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HEILIGE RECHTGLÄUBIGE FÜRSTIN

DAS RUSSISCHE CHRISTLICHE IDEAL DER WEIBLICHKEIT

ORTHODOXES LESEHEFT - l990 - 8

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Inhalt:

Teil II:
      4. Die heiligen Fewronija von Murom (1227), Julianija, Fürstin von Wjasma, rechtgläubige Fürstin Jewdokia, rechtgläubige Jefrosinija von Susdal, rechtgläubige Fürstin Wasilissa, rechtgläubige Juliana, Fürstin von Wjasma, rechtgläubige Fürstin Jewdokia.
      5. Die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin.
      6. Nachwort.

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4. Die heiligen Fewronija von Murom, Julianija, Fürstin von Wjasma, rechtgläubige Fürstin Jewdokia, rechtgläubige Jefrosinija von Susdal, rechtgläubige Fürstin Wasilissa, rechtgläubige Juliana, Fürstin von Wjasma, rechtgläubige Fürstin Jewdokia.

Eine schlichte Anmut strahlt das geistige Antlitz der hl. Fewronia, der Gemahlin des hl. Fürsten Pjotr von Murom, aus. Die Legende, in der von ihrer inniglichen Liebe und ihrer Ehe berichtet wird, hatte dem russischen Leser dermaßen gefallen, daß sie sich bis auf den heutigen Tag in 150 Abschriften und vier verschiedenen Fassungen erhalten hat. Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß das Volk die Grabstätte dieses fürstlichen Paares 300 Jahre lang verehrt hat, obwohl keine glaubwürdigen geschichtlichen Belege vorhanden waren. Diese hohe Verehrung veranlaßte denn auch die Russische Kirche, den Fürsten Pjotr und dessen Gemahlin Fewronia im Jahre 1549 heiligzusprechen und ihren Gedenktag auf den 25. Juni festzusetzen. Dem religiösen Bewußtsein des Volkes, das der Russischen Kirche die Heiligkeit des fürstlichen Paares bescheinigte, konnte ebenso geglaubt werden, wie historisch belegten Tatsachen. Was das Volk an dieser beliebten Legende so stark berührt haben mag, das wird die treue Gattenliebe gewesen sein, die bis über den Tod hinausgedauert hat

Die heilige rechtgläubige Fürstin Fewronia von Murom war ein einfaches Bauernmädchen gewesen. Ihr Vater hatte sich mit Försterei und Bienenzucht befaßt. Sie hatte den Fürsten Pjotr von einer schweren Krankheit geheilt, worauf dieser sie zur Gemahlin nahm. Aber die stolzen Bojaren von Murom waren der aus einfachen Verhältnissen stammenden Fürstin übelgesinnt. Sie boten ihr an, wenn sie in eine Trennung von ihrem Gemahl einwillige und Murom verlasse, so könne sie einen beliebigen Schatz mit sich nehmen. Fewronia fügte sich scheinbar, doch von allen Schätzen nahm sie nur einen - ihren liebsten Gemahl, Fürst Pjotr, mit. Nach der Abreise des Fürstenpaares kam es zwischen den Bojaren zu großen Zwistigkeiten: alle wollten sie den Thron von Murom besteigen. Damit diese Fehden endlich aufhörten, baten sie Fürst Pjotr und Fewronia, sie mögen doch wieder zurückkommen. Nach langjähriger Regierung, die Murom viel Gutes brachte, beschlossen die Gatten mit beiderseitiger Einwilligung, ins Kloster zu gehen: Pjotr wurde der Mönch David und Fewronia – die Nonne Jewfrossinija. Zuvor hatten sie sich in der Kirche zu Mariä Geburt eine gemeinsame Grabstätte bereiten lassen, und sie wünschten sich sehnlichst, an einem und demselben Tag aus der Welt zu scheiden. Als Fürst Pjotr fühlte, sein Ende sei nun gekommen, da ließ er der seligen Fewronia ausrichten: "Schwester Jewfrossinija, ich bin schon nahe daran, meinen Geist aufzugeben, aber ich harre deiner. Als sie diese Kunde vernahm, da sagte sie: ,,O mein Herr, warte noch etwas, bis ich eine Decke für die heilige Kirche zu Ende gestickt habe.." Und wiederum sandte der selige Pjotr nach ihr und ließ ihr sagen: "Nur noch ein bißchen warte ich auf dich...". Und schließlich ein drittes Mal: "Ich möchte schon hinscheiden - ich warte auf dich..." Da hörte sie mit dem Sticken auf, steckte die Nadel in die Decke, umwickelte sie mit dem Faden und ließ dem seligen Pjotr ausrichten, sie werde gemeinsam mit ihm sterben... Und sie haben auch wirklich zu gleicher Zeit ihren Geist aufgegeben. Zwei Mal wurden sie an verschiedenen Stellen beigesetzt: Der Mönch David - in der Stadtkirche und die Nonne Jewfrossinija - in der Kreuzerhöhungs - Kirche (denn ein Mönch und eine Nonne durften nicht gemeinsam bestattet werden). Aber beide Male wurden ihre sterblichen Hüllen anderntags in der gemeinsamen Gruft in der Kathedrale aufgefunden. Und dort beließ man sie denn auch, da man nicht wider den Willen Gottes handeln wollte.

Ein ebensolches Beispiel christlicher Tugend hat auch die heilige rechtgläubige Jefrosinija von Susdal (ihr weltlicher Name war Feodulia) geliefert. Sie war die Tochter des leidgeprüften rechtgläubigen Fürsten Michail von Tschernigow, der 1246 in der Goldenen Horde den Tod gefunden hatte. Ihr Name ist mit dem Susdaler Kloster zu Mariä Gewandlegung verknüpft, wo sie die Nonnenweihe empfangen hatte. Die Überlieferung weiß von ihrer Kindheit und ihrer Jugendzeit zu berichten. Ihre Eltern, denen der Kindersegen lange Zeit versagt blieb, hatten sie im Kiewer Höhlenkloster erfleht. Erzogen wurde sie von ihrem Vater, und der weise Bojare Feodor brachte ihr von klein auf das Lesen der Göttlichen Schriften bei. Mit fünfzehn Jahren entsagte Feodulia bereits der irdischen Ehe, zuvor war ihr zwei Mal die Gottesmutter erschienen.

In der einen Vision hatte sie das Jüngste Gericht erblickt und erkannt, was paradiesische Freuden und was ewige Qualen bedeuten. In der zweiten Vision war ihr eine hellgekleidete männliche Gestalt erschienen und hatte ihr befohlen, sie solle ihm folgen...

Das tat sie denn auch, und so gelangte sie in das Höhlenkloster. Bald darauf beschlossen ihre Eltern, sie an den Susdaler Fürsten Mina zu verheiraten, und brachen mit ihr nach Susdal zur Trauung auf. Feodulia hatte sich zwar in ihr Schicksal dreingeschickt, "doch da sie Gott lieber hatte als die Welt", flehte sie unterwegs die Gottesmutter fortwährend um deren Beistand an. Und diese versprach ihr Schirm und Schutz... In Susdal erwartete sie dann die Kunde, daß der Bräutigam unverhofft gestorben sei. Feodulia kehrte nicht wieder nach Hause zurück. Sie ging in das Susdaler Kloster und wurde die Nonne Jewfrossinija. Gott hatte es so gewollt: nicht als Gemahlin des Fürsten sollte sie in der Stadt bleiben und ihm Kinder gebären, sondern sie sollte allen Susdalern eine Mutter sein und sie durch ihre Gebete vor Feinden und Unbilden behüten. Sie war eine musterhafte Nonne und gehorchte der Altnonne, die sie aufgenommen hatte, vollends.

Mit ihrer Erlaubnis begann sie sich um Menschen zu kümmern, die ins Kloster kamen, um Belehrungen zu erhalten, und für einen jeden Besucher fand sie ein erbauen des Wort. Sie besaß auch die Gabe der Weissagung und der Teufelsaustreibung. Bald war die rechtschaffene und weise Nonne im Umkreis weit bekannt. Jewfrossinija hat auch den Tatareneinfall vorausgesagt, denn in einem Traum hatte sie eine Stimme vernommen, und diese hatte ihr gesagt: "Es wird eine furchtbare Heimsuchung geben...". Während Batus Invasion betete Jewfrossinija mit den anderen Schwestern Tag und Nacht - in der Stadt wurden schreckliche Verwüstungen angerichtet, aber das Kloster zu Mariä Gewandlegung blieb heil und unversehrt. Gemäß einer Überlieferung konnten sich die Tataren dem Kloster nicht nähern. Und da wollte Batu von einer Anhöhe aus Ausschau halten, wo sich dieses Kloster eigentlich befände. Aber Batu konnte nichts erblicken, denn zu dieser Zeit war das Kloster gleichsam in Dunkel gehüllt, und er mußte unverrichteter Dinge abziehen. Als Jewfrossinija erfuhr, daß sich ihr Vater zum Chan begeben wollte, da ließ sie ihm ausrichten, "er solle sich dessen Willen nicht beugen...".

Nach der Ermordung ihres Vaters hatte sie eine Vision: der Vater und der Bojare Feodor waren in hellen Gewändern vor sie hingetreten, hatten sie von ihrem Tod benachrichtigt, sie gesegnet und ihr für die. Stärkung im letzten Augenblick ihres Lebens gedankt. Bis zuletzt hat Jewfrossinija ein strenges Nonnenleben geführt. Sie liebte die Armut, ging in einem groben Gewand und wollte von neuer Kleidung nichts wissen. In ihrer Demut und Bescheidenheit trachtete sie nie danach, Äbtissin zu werden, sondern blieb bis an ihr Lebensende eine einfache Nonne. Kurz vor ihrem Tode erschienen ihr der Vater und der Bojare Feodor und verkündeten ihr das nahe Ende. Am 25. September 1250 segnete sie das Zeitliche. Zu ihrer Beisetzung hatten sich der Bischof, zahlreiche Geistliche und die ganze Stadt eingefunden. Während der Regierungszeit von Ivan III. wurde sie heiliggesprochen. Der Susdaler Bischof Warlaam erwarb in einem Kloster seiner Diözese die Lebensbeschreibung der ehrwürdigen Jewfrossinija. Es stellte sich heraus, daß die von dem Grabe der Ehrwürdigen ausgehenden Wunder im Kloster zu Mariä Gewandlegung schon seit geraumer Zeit aufgezeichnet wurden. Nachdem Bischof Warlaam und die Geistlichkeit für die heiligen Reliquien gezeugt hatten und man von den Wundern Kenntnis erhalten hatte, wurde verfügt, der heiligen Jewfrossinija stets an deren Sterbetag zu gedenken.

Die heilige rechtgläubige Fürstin Wasilissa (Wassa), als Nonne - Feodora, Gemahlin des Nishegoroder Fürsten Andrej Konstantinowitsch. Sie war 1331 in Twer als Tochter eines Bojaren geboren - das war während der Regierung von Ivan Kalita und zu Lebzeiten des Chans Usbek. Mit zwölf Jahren wurde sie von ihren Eltern verheiratet. Während ihrer Ehe führte sie einen frommen und tugendhaften Lebenswandel, sie betete und fastete und teilte Almosen aus. Nach dreizehn - jähriger Ehe verwitwet, ließ sie "alle ihre Leute frei, teilte ihre Reichtümer an die Kirchen, Klöster und Armen aus und empfing in "dem von ihr selbst gegründeten Kloster" zu Mariä Empfängnis die Nonnenweihe.

Große Charakterstärke beweist die keusche Märtyrerin - die heilige Juliana, Fürstin von Wjasma und Wundertäterin von Nowotorshok, die 1406 wegen ihrer Unbeugsamkeit von dem als Statthalter nach Torshok entsandten Smolensker Fürsten Juri ermordet wurde. Diesen "hatte der Böse dazu verleitet, der Fürstin Juliana, Gemahlin des Fürsten Simeon Mstislawitsch von Wjasma, der ihm dienstbar war, in jeder Weise nachzustellen". Juliana, ihrem Gatten treu ergeben versetzte dem Gewalttäter in ihrer Gegenwehr einen Messerstoß. Daraufhin tötete Juri ihren Gemahl "und ihr selbst ließ er Hände und Füße abhauen und sie in einen Fluß werfen... Und da seine Schmach und Schande überaus groß waren, floh er zur Goldenen Horde...". Irgendein Geistesgestörter erblickte die auf dem Fluß dahinschwimmende entsetzlich verstümmelte Leiche, und ihn packte ein solches Grauen, daß er auf der Stelle von seiner Krankheit genas. Zugleich hörte er eine Stimme, die ihm gebot, er solle nach Torshok gehen und dem Geistlichen in der Kirche sagen, "man möge meinen sündigen Leib nehmen und ihn bei sich an der südlichen Kirchenpforte begraben...". Und so geschah es auch. Die Geistlichkeit und das Volk gingen zum Fluß, legten den Leichnam in einen steinernen Sarg und schafften ihn in die Kirche. Bald darauf wurden Kranke wieder gesund. Ob er Julianas Mörder ist bekannt, daß er nicht in der Horde blieb und auch nicht in seine Lande zurückkehrte. Er beschloß sein Leben in völliger Abgeschiedenheit in einem Kloster. Hier hat er offenbar Buße getan, denn als er nach kurzer Krankheit verschied, wurde er im Kloster "in Ehren zu Grabe getragen".

Fromm und tugendsam war auch die heilige rechtgläubige Fürstin Jewdokia, die Gemahlin des heiligen rechtgläubigen Fürsten Dimitri Donskoi, als Nonne - Jewfrossinija, gewesen. Eine mustergültige Gattin und Mutter, die in der Familie stets den Lebendigen Glauben an Christus aufrechterhalten hatte, wurde sie nach 23 Ehejahren Witwe und begann eifrig zu fasten und inbrünstig "für die Russischen Lande" zu beten. Diesen inbrünstigen Gebeten der Fürstin Jewdokia wird die Rettung Moskaus vor Tamerlan zugeschrieben. Der Feind blieb am Ufer des Jelez stehen, machte plötzlich kehrt und zog in Richtung Krim fort. Das geschah gerade zu jener Zeit, da aus Wladimir die wundertätige Ikone der Gottesmutter von Wladimir eintraf - das Heiligenbild hatte die Fürstin Jewdokia kommen lassen, weil es ihr Metropolit Kiprian so geraten hatte. Die ehrwürdige Jewfrossinija hat zwei Kirchen erbauen lassen - eine Mariä – Geburts - Kirche am Fürstenhof und in Perejaslawl - Salesski eine Kirche zum hl. Johannes dem Vorläufer. Sie hat auch das Moskauer Nonnenkloster zur Himmelfahrt Christi gegründet. Besonders streicht die Überlieferung heraus, daß die Fürstin auch dem toten Gatten die Treue gehalten hat. Böse Zungen versuchten, ihren guten Ruf in Zweifel zuziehen.

Jewdokia nahm stillschweigend die grundlosen Verdächtigungen hin. Doch als sie sah, daß diese Verleumdungen ihren Sohn Juri schockierten, offenbarte sie den Söhnen die Wahrheit: Sie öffnete über der Brust ihr Gewand, und die Söhne sahen, daß die Mutter unter ihrem prunkvollen Staat einen völlig abgezehrten Körper verbarg (gemäß einer anderen Überlieferung soll Jewdokia Bußketten getragen haben). In einer Legende wird berichtet, wie sich die rechtgläubige. Fürstin auf ihren Tod vorbereitete, den ihr in einer Vision ein Engel angekündigt hatte. Gleich nach diesem Gesicht hatte die Fürstin die Sprache verloren.

Da ließ sie einen Ikonenmaler kommen und tat ihm durch Gesten ihren Wunsch kund - er sollte ihr auf einer Tafel einen Engel malen. Nachdem man ihr den Wunsch erfüllt hatte, verneigte sich Jewdokia andächtig vor dem Bild, den Engel erkannte sie jedoch nicht an: Das war nicht der Engel aus ihrer Vision... Es wurde eine neue Ikone gemalt, aber auch dieser Engel war ihr nicht recht. Erst als man ihr eine Ikone brachte, auf welcher der heilige Erzengel Michail abgebildet war, erkannte sie in ihm den wunderbaren Boten und gewann die Sprache zurück. In Erwartung ihres baldigen Endes traf Jewdokia Anstalten, um die Nonnenweihe zu empfangen. An jenem Tage, da sie sich in das Christi – Himmelfahrts - Kloster zur Nonnenweihe begab und sie das Volk umringte, wurden dreißig Menschen auf wundersame Weise von ihrem Siechtum geheilt. In der Legende wird insbesondere die Genesung eines Blinden geschildert: Jewdokia ließ ihm einen Ärmel ihres Gewandes auf die Hände gleiten, er legte ihn an seine Augen - und wurde sehend... Nachdem Jewdokia ihr frommes und gottgefälliges Leben vollendet hatte, ging sie am 7. Juni 1400 in die Ewigkeit ein. Nach ihrem Tode entzündete sich an ihrem Sarg auf wunderbare Weise eine Kerze, und dank den Gebeten der Fürstin ist in dem von ihr gegründeten Kloster alles wohlbestellt" - endet die Legende.

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5. Die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin.

In der undurchdringlichen Finsternis des ersten Jahrhunderts des Tatarenjochs leuchtet die Gestalt der rechtgläubigen Fürstin Anna von Kaschin. Kanonisiert zur Regierungszeit von Alexej Michailowitsch Unter dem Patriarchen Iosif (1652) und 27 Jahre später während der Zarenherrschaft von Feodor Alexejewitsch unter dem Patriarchen Ioakim (1690) aus den Reihen der russischen Heiligen wieder entfernt, wurde die rechtgläubige Fürstin Anna nach 230 Jahren 1909 während der Regierung von Nikolaus II. erneut als eine Heilige anerkannt. Sie ist für die Nachkommen ein erstrebenswertes Vorbild. Anna hatte in ihrem Leben sehr vieles erdulden müssen und hat dann endlich, wie es in der Alten Rus gewöhnlich der Fall war, hinter den Klostermauern ihre Ruhe in Gott gefunden. Anna hatte die Nonnenweihe wahrscheinlich zwischen 1330 und 1336 empfangen. Das waren verhältnismäßig friedliche Jahre, für Anna hingegen, die einen Sohn verloren hatte, eine Zeit der schlimmsten Leiden.

Ihre anderen Söhne - Konstantin und Wassili - hatten bereits eigene Familien und bedurften schon nicht mehr ihrer Vormundschaft. Ihr ganzes vorheriges Leben hatte Anna auf ihr Nonnendasein vorbereitet. Das heimatliche Rostow hatte sie in Glauben und Frömmigkeit erzogen, sie gelehrt, sich dem Willen Gottes zu fügen, d. h. ihr irdisches Dasein als ein Geschenk des Himmels aufzufassen. Und diesen Gottesgehorsam hat sie sich bis an ihr Lebensende bewahrt. Ohne diesen festen Glauben und die unendliche weibliche Geduld hätte sie wohl kaum ihr hoffnungsloses und kummervolles Leben ertragen können. Schon in ihrer Witwenzeit hatte sich Anna als rechtgläubige Fürstin offenbart. Sie hielt sich streng an die kirchlichen Vorschriften, fastete und betete, war wohltätig gegenüber Armen, Waisen und Witwen, überdies sehr gastfreundlich und stand allen Hilflosen bei. Aber es ist ein Unterschied, ob man in der Welt als verwitwete Großfürstin lebt, oder aber "seine Gebete stumm zu Gott emporsendet", beides läßt sich kaum verbinden. Man kann nicht mit dem einen Auge zum Himmel hinauf- und mit dem anderen zur Erde hinunterblicken. "Die Versuchungen der Zeit verdüstern das innere Auge und blenden kluge Gedanken...". Aufgrund dieser Überlegungen kommt Anna zu dem Entschluß, die Familie und den Fürstenhof zu verlassen, den sie umgehend ausführt. Ihr Leben im Sophienkloster zu Twer zeichnet sich durch besondere Demut, Sanftmütigkeit und gehorsames Dienen aus. So bleibt es auch im Kloster zu Kaschin, wohin sie auf das inständige Drängen ihres Sohnes Wasili übersiedelte, weil sie darin den Willen Gottes ersah. "Das Fleisch hat sich dem Geist unterworfen, und Christus hat an ihrer reinen Schönheit Gefallen gefunden und ihren Körper unverwest erhalten, wovon wir uns heute mit eigenen Augen überzeugen können", stellt der Verfasser einer Vite fest. Nach den einen Quellen soll die leidgeprüfte rechtgläubige Fürstin Anna im Jahre 1338 das Zeitliche gesegnet haben, anderen Quellen zufolge soll das 1368 geschehen sein, nachdem sie als Schimanonne wieder ihren Namen "Anna" angenommen hatte.

Außergewöhnlich ist das irdische Los der Anna nicht gewesen, denn viele andere "rechtgläubige Fürstinnen" hatten Ähnliches erdulden müssen: auch ihnen waren der Gatte, die Söhne weggestorben... Ungewöhnlich war aber wohl, wie Anna all ihren Kummer ertragen hat. Dieses Geheimnis ihrer Seele, verflochten mit einem unnachahmlichen Menschenschicksal, hat denn wohl auch der Gestalt der ehrwürdigen Anna, einer besonderen historischen Gestalt, das Gepräge gegeben. Nichts hatte bei ihrem Tode darauf hingedeutet, daß Anna dereinst aus der Reihe der "rechtgläubigen Fürstinnen" der Mongolenepoche hervortreten und in der Russischen Kirche erstrahlen werde. Hätte man sie in Kaschin von einem Jahrhundert zum anderen weiter verehrt, wie es mit ihrem Gemahl, Fürst Michail, in Twer geschah, so hätte ihre Glorifizierung nach 230 Jahren lediglich ihre bereits lokale Verehrung noch mehr verfestigt. Aber es kam anders. Das Andenken an Anna erlosch zusammen mit dem Geschlecht der Kaschiner Fürsten, deren Namen sich nur noch in den Chroniken erhalten haben. Die Tatsache, daß die rechtgläubige Fürstin Anna in Vergessenheit geriet und man sich zu ihren Reliquien achtlos verhielt, bewirkte jedoch das Wunder ihrer kirchlichen Auferstehung...

Die Hagiographie mag sich auch noch so bemühen, das Leben von Heiligen haargenau zu beschreiben, dennoch wird immer "etwas" bleiben, was sich nicht erforschen läßt, das ist das Phänomen an sich, weshalb in der Kirche ein Heiliger erscheint. Und nur durch die Göttliche Vorsehung ist es wohl zu erklären, daß Anna 280 Jahre nach ihrem Tode verherrlicht wurde.

Geschichtlich betrachtet, hatte es dafür, daß man sich auf die Fürstin Anna von neuem besann, einen wunderbaren Anlaß gegeben. In der Zeit der Wirren, da die Polen und die Litauer russische Städte plünderten und niederbrannten, waren die Feinde dreimal auch bis nach Kaschin vorgedrungen, zogen aber jedes Mal wieder ab, ohne der Stadt etwas zuleide getan zu haben. In der gleichen Zeit brach in Kaschin eines Tages ein Großfeuer aus, das aber bald wieder erlosch und in der Stadt keinen Schaden anrichtete. Da begannen sich die Einwohner unwillkürlich zu überlegen, ob sie nicht irgendeine wunderbare Kraft beschirme? Und da trug sich etwas sehr Rätselhaftes zu...

Dem schwerkranken Kirchendiener der Mariä - Entschlafens - Kirche, Gerassim, erschien im Jahre 1611 im Traum eine Frau im Gewand einer Schimanonne, die sich Anna nannte und ihm Genesung versprach, doch dabei sagte sie: "...meine Grabstätte wird vom Volke überhaupt nicht geehrt, ihr haltet sie für eine ganz gewöhnliche, und mich verachtet ihr... Wisset ihr denn nicht, daß ich den Allgnädigen Gott und die Gottesmutter anflehe, daß eure Stadt nicht den Feinden in die Hände falle, und ich euch vor vielen Übeln und Mißgeschicken behüte?"

Dieser geheimnisvolle Traum und die wunderbare Genesung des Kirchendieners Gerassim ließen das Grab der Anna zu einem Heiligtum von Kaschin werden. Und in den ersten Regierungsjahren von Alexej Michailowitsch wurde die rechtgläubige Fürstin Anna von der ganzen Russischen Kirche verherrlicht. Am 12. Juni 1650 wurden die Reliquien der rechtgläubigen Anna von Kaschin umgebettet. In der ganzen Geschichte der Russischen Kirche ist keiner Heiligen ein solch glänzendes Zeremoniell zuteil geworden. Seine Schilderung hat sich in Schloßarchiven jener Epoche erhalten. Und auf einmal wurden die kanonischen Grundlagen für die Verehrung der rechtgläubigen Fürstin Anna, die 30 Jahre lang keine Einwände erregt hatten, angezweifelt...

Die in der zweiten Hälfte des 17. Jh. unter Patriarch Nikon begonnene Kirchenspaltung artete in eine grimmige Feindschaft aus, und auch die Zeit vermag die Erinnerung daran nicht immer auszulöschen. Im Kampf gegen die Spaltung tritt die Gestalt des Patriarchen Ioakim - eines Verfechters schonungsloser Maßnahmen - in den Vordergrund. Gerade während seiner Amtszeit (1674-1690) wurde die rechtgläubige Fürstin Anna als Heilige ausgestrichen. Es kamen Gerüchte in Umlauf, daß die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin, eine verherrlichte Wundertäterin, deren sterblichen Überreste einst Zar Alexej Michailowitsch selbst auf seinen Schultern getragen hatte, für welche die Zarin und eine Zarentochter, ohne ihre Augen zu schonen, kostbare Sargdecken bestickt hatten, für die man von den Geldern der Zarenkasse eine Kirche erbaut hatte, für die Andachten abgehalten und Ikonen gemalt werden, daß diese Heilige in ihrem Sarg mit derart gefalteten Händen daliege, daß man annehmen könne, sie schreibe den russischen Menschen vor, wie sie sich zu bekreuzigen haben. Von dem Patriarchen Ioakim und den Vätern der Konzile 1677-1678 wurde die Heiligkeit der Anna offenkundig nicht angezweifelt, da sie aber keine Verwirrung im Volke wünschten, ordneten sie an, die Gottesdienste und Andachten für die Heilige hätten solange zu unterbleiben, "bis der Herr seine Zustimmung dafür kundtue". Somit wurde der rechtgläubigen Fürstin Anna ihr Nimbus genommen, und das war gleichfalls eine Episode des Auftretens gegen die Spaltung.

Die gläubigen russischen Menschen bewahrten der rechtgläubigen Fürstin jedoch ein treues Angedenken und verehrten ihre liebe Heilige von Kaschin weiterhin, und auch am Schrein der "Rechtgläubigen Anna" vollzogen sich immer wieder von neuem Wunder. So nannte sich nämlich die heilige Nonne, wenn sie kranken und leiden den Menschen gewöhnlich im Traum erschien. Im Laufe des ganzen 19. Jh. hatten sich die Einwohner von Kaschin dafür eingesetzt, daß die rechtgläubige Fürstin von der ganzen Kirche wiederum verehrt würde. Und am 12. Juni1909 war es dann endlich soweit - der Heiligen wurde ihr kirchlicher Ruhm zurückerstattet. In die bunte Girlande der Kirchenfeiern der Jahre 1907-1916 sind drei Blumen des kirchlichen Ruhmes dreier russischer Frauen mit eingeflochten, das sind die rechtgläubige Fürstin Jewdokia (als Nonne - Jefrosinija), Gemahlin des hl. Dmitri Donskoi, die rechtgläubige Fürstentochter Jefrossinija von Polozk und die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin.

Die Kirchenfeier von Kaschin ist auch für die heutige Zeit lehrreich. Da haben wir die traurige Epoche des Tatarenjochs vor uns. In ihrem Mittelpunkt befindet sich die Familie der heiligen rechtgläubigen Fürstin Anna, die infolge des grimmigen Despotismus der Tataren in verschiedene Richtungen verstreut wurde, Mord in der Goldenen Horde, Fehden in den eigenen Landen - wo ist ein Lichtblick in diesem undurchdringlichen Dunkel, wo der Lebensnerv, der die zerschlagenen Teile Rußlands zu einem Ganzen zusammenfügt, der den Sinn des Lebens offenbart, wo nach rein menschlichem Ermessen doch schon alles verloren ist? Nur allein das Christuskreuz leuchtet der Seele des Volkes und jedes einzelnen Menschen, zeigt auf, was die Leiden für einen Sinn hatten, flößt Hoffnung in die Zukunft ein und verleiht die Kraft, um den bitteren Kelch des Lebens bis zur Neige zu leeren. Das Kreuz und die Kirche - das ist das wegweisende Feuer, das unsere "Heilige Rus" auch bei den heutigen Mißgeschicken wärmt und tröstet...

In den unruhevollen Jahren des Krieges und in der ersten Zeit nach der Revolution blieb die Grabstätte der Anna weiterhin ein unantastbares Heiligtum. Die Gestalt der rechtgläubigen Fürstin wurde den russischen Menschen sogar noch vertrauter - man erinnerte sich daran, auch sie hatte ja ihren Gatten und die Söhne ins Ungewisse begleitet, sie beerdigt und beweint, hatte ebenfalls fliehen und sich verbergen müssen, als man ihre Heimstatt in Twer in Schutt und Asche legte. Danach hatte sie ein Leben in Armut gefristet und dem verschreckten Volk Trost gespendet... Auch als die Anfeindungen gegen die Kirche einsetzten, wurde sie in verschiedenen Gegenden Rußlands weiterhin verehrt - die Heilige konnte doch "ihre Menschen" nicht im Stich lassen, nur weil man ihre Reliquien fortgetragen und die Kirche geschlossen hatte.. Der rechtgläubige Fürst Michail von Twer und die rechtgläubige Fürstin Anna sind zwei helle Leuchten der Lande von Twer. Die religiöse Mission eines jeden von ihnen ist mit dem russischen Leben auf verschiedene Weise verknüpft, und sie werden auch einzeln und gesondert verehrt: die Reliquien Michails sind für immer ein Heiligtum von Twer und die der rechtgläubigen Anna - ein Heiligtum von Kaschin geblieben. Fürst Michail von Twer hat den Russischen Landen ein Beispiel der "christlichen" Macht geliefert, die in religiös - moralischer Hinsicht für das Volk und gegenüber dem Volk verantwortlich ist.

Die rechtgläubige Anna hat die Gestalt der heiligen Frau geprägt: eine widerspruchslose Befolgung des Willen Gottes und eine demutsvolle, opferbereite Liebe - das sind die typischen Charakterzüge der russischen rechtschaffenen Frau. Ob von der russischen Kirche anerkannt oder nicht, niemals hat sie "ihr Volk" im Stich gelassen- Die rechtgläubige Anna ist von dem religiösen "Frühling" unter Alexej Michailowitsch, von der Kirchenspaltung, von der Geschichte des frommen Kaschin nicht zu trennen; sie ist auch mit der Regierung von Nikolaus II., dem letzten Russischen Kaiser, der ihr den kirchlichen Ruhm zurückerstattete, und auch mit der Revolution verbunden, deren Auswirkungen auch sie nicht entgangen ist...

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6. Nachwort.

Die Heiligen leuchten nicht nur, sie leben auch geistig im Volke fort, sie begleiten es auf allen seinen Wegen, sind ihm behilflich, das Kreuz der Geschichte zu tragen, d. h. ungeachtet der ihm entgegenwirkenden Kräfte seine Mission zu erfüllen. Wenn der reinen Dichtkunst eine gewisse übersinnliche Wahrnehmungskraft gegeben ist, wenn sie instinktiv mit den Lebensgeheimnissen in Berührung kommt, so spürt sie untrüglich, daß die Heiligen vom Volk nicht zu trennen sind und die Legende von den russischen Heiligen, die ihren nicht mehr vergoldeten Grabstätten, den bestickten Sargdecken und den kostbaren Gewändern entstiegen und ins Volk gegangen sind, die Vorsehung in sich birgt, daß es von neuem eine russische Heiligkeit geben wird...

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