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HEILIGE RECHTGLÄUBIGE FÜRSTIN

DAS RUSSISCHE CHRISTLICHE IDEAL DER WEIBLICHKEIT

ORTHODOXES LESEHEFT - l990 - 8

Internet - Version

 

Inhalt:

Teil I:
      1. Das altrussische christliche Ideal der Weiblichkeit: heiligen Fürstinnen, gerechte Frauen anderer Schichten der russ. Gesellschaft, heilige Witwen, heilige Jungfrauen und Nonnen.
      2. Die heilige Frauen des 3. bis 6. Jahrhunderts: hl. Helene, hl. Olympiada, hl. Pulcheria, sel. Theodora, sel. Theofania, ehrw. Sinklitikia (350), hl. Jungfrau Alexandra (376), hl. Platonida, ehrw. Fewronia (310), ehrw. Ewpraxia, ehrw. Efrosinia (445), ehrw. Matrona, (492), ehrw. Afanasia von Ägina, ehrw. Maria von Ägypten (881), ehrw. Anfusa die Ältere (759), ehrw. Theoktysta (840), und noch viele andere...
      3. Die heilige Frauen der mittelalterlichen Rußland (10. - 14. Jahrhunderts) bis zur Zeit der Tatarenjochs.

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1. Das altrussische christliche Ideal der Weiblichkeit: heiligen Fürstinnen, gerechte Frauen anderer Schichten der russ. Gesellschaft, heilige Witwen, heilige Jungfrauen und Nonnen.

Hinter diesem Begriff - "rechtgläubige Fürstin" (bzw. Fürstentochter) - steht immer nicht nur eine historische Gestalt mit einer bestimmten Biographie, sondern auch eine sehr markante Vertreterin jenes Typs heiliger Frauen, wie er in der Alten Rus hoch verehrt wurde.

In der Zeit vom 10. bis zum 17. Jahrhundert wurden in den Namenverzeichnissen unserer Heiligen etwa dreißig solcher "rechtgläubigen Fürstinnen" erwähnt. Die einen wurden auf Konzilen heiliggesprochen: so die apostelgleiche Fürstin Olga (das Konzil von 1547 hatte die allgemeine Verehrung der heiligen Fürstin Olga in der Rus - sie war bereits in der Zeit vor dem Tatarenjoch aufgekommen - lediglich bestätigt), die rechtgläubige Fürstin Fewronia von Murom und die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin; andere wurden in unsere Kalender aufgrund einer Verfügung von Diözesenbischöfen und mit Genehmigung eines Metropoliten, des Patriarchen oder des Synods der Russischen Kirche eingetragen; andere wieder wurden als sehr fromme Frauen in einem Gebiet, einer Stadt oder einem Kloster, wo sich ihre sterblichen Überreste befanden, verehrt. Obwohl eine jede der heiligen oder rechtschaffenen Frauen ihr eigenes historisches Schicksal hatte, zeichnen sie sich alle durch so viele gemeinsame Züge aus, sind sich ihre religiös - ethischen Verhaltensweisen und ihr geistiges Antlitz dermaßen gleich, daß wir von einem besonderen hagiologischen Typ der "rechtgläubigen Fürstin" sprechen können, wie er parallel zu dem Begriff "heiliger rechtgläubiger Fürst" bestanden hatte. Das russische Volk hat den einen wie den anderen in seinen Gebeten ein heiliges Andenken bewahrt. Die heiligen Fürstinnen (und Fürstentöchter) wurden nicht wegen ihres hohen Ranges verehrt, sondern weil es an diesen Frauen und in deren Leben für die Umwelt etwas sehr Bedeutsames gegeben hatte. Gleich von den ersten Jahrhunderten an, da sich die Rus zum Christentum bekehrte, hatte die Göttliche Vorsehung den Vertreterinnen der höchsten Kreise der altrussischen Gesellschaft eine große Verantwortung auferlegt, nämlich das Ideal einer wahrhaftigen Christin zu sein und dieses inmitten eines halb christlichen, halb heidnischen Volkes zu wahren, den russischen Schwestern als ein nachahmenswertes Beispiel zu dienen und "allen im Hause zu leuchten...".

Der religiös - ethische Typ der rechtschaffenen Frau hat über lange Zeiten hinweg seine soziale Grundlage nicht eingebüßt: erst Ende des 17. Jahrhunderts halten die russischen Frauen der höchsten Kreise jene Verhaltensnormen, die sie von der Alten Rus ererbt hatten, nicht mehr für verbindlich, können also nicht mehr als "rechtgläubige Fürstinnen" betrachtet werden. Im kaiserlichen Rußland sind weder die Zarin selbst noch die Hofdamen und die Vertreterinnen der feinen, vornehmen Gesellschaft ihren Vorgängerinnen noch ähnlich. Einzelne Ausnahmen können im Leben, in den Sitten und Geschmäcken der Gesellschaft auch nichts ändern. An die Stelle der seelischen Schönheit und christlichen Fraulichkeit waren eine weltliche Ästhetik, eine Salonkultur, Moden und Eleganz getreten.

Das Wort "rechtgläubig" blieb lediglich ein Attribut, das in kirchlichen Bekanntmachungen auf die Mitglieder der Zarenfamilie angewendet wurde. Die "Rechtgläubigkeit", unter der ein überaus frommer christlicher Lebenswandel zu verstehen war, verbreitete sich über die Russischen Lande und erfaßte alle Stände, so vornehme Bojarinnen und einfache Popenfrauen, reiche Kaufmannsfrauen, und arme Bäuerinnen, und ließ vielfältige Formen weiblichen Heroentums aufkommen. Sie dienten Gott auf verschiedene Weise - als Nonnen, kirchliche Aufklärerinnen und Wohltäterinnen... Sie trugen zu einer Stärkung des orthodoxen Glaubens bei und bewahrten das kirchliche Heiligtum im russischen Volke bis hin zur Revolution - das waren unzählig viele Nonnen und Laiinnen aller Ränge und Stände. Ihre Namen sind kaum oder überhaupt nicht bekannt. Keine einzige von ihnen wurde verherrlicht, aber das Volk verehrte sie als ihre lieben, rechtschaffenen Frauen und gedachte ihrer Sterbetage. Und so wird es bis auf den heutigen Tag gehalten.

Welche religiös - ethischen Züge waren nun den altrussischen "rechtgläubigen Fürstinnen" eigen? Das Ideal der seelischen Schönheit, verbunden mit großer Frömmigkeit, Gottesfurcht, einem lauteren Lebenswandel und Mildtätigkeit, hatte in der Rus in den Frauenseelen zusammen mit dem orthodoxen Glauben und der christlichen Glaubenslehre Eingang gefunden. Die Einstellung zu Gutem und Bösem, zur Schönheit und Häßlichkeit bildete sich in den Frauenseelen mit Hilfe des Herrn - durch den Glauben, die Heilige Taufe und das Heilige Abendmahl, durch kirchliche Aufklärung - heraus und wurde schon mit der Muttermilch eingesogen. Für die Frau in der Alten Rus stand es fest, was ihre Seele in ethischer Hinsicht zu bejahen oder abzulehnen hatte. Die Frau wußte, wie weit sie mit ihren Wünschen zu gehen hatte. Diese deutlich ausgeprägten christlichen religiös - ethischen Verhaltensnormen haben in der Alten Rus und in unserer Kulturgeschichte den Begriff "rechtgläubige Fürstin" geprägt.

Der Grundzug der Rechtschaffenheit der altrussischen Frau waren die Keuschheit der christlichen Ehe als eines hochbedeutsamen Sakraments, ein unbedingtes Sich - Fügen in den Willen Gottes, eine widerspruchslose Gehorsam gegenüber dem Gatten (die allerhöchste Tugend der Ehefrau). Das war nur denkbar, weil sich die Frauenseele in die Göttliche Vorsehung geschickt hatte und ihr Los, ganz gleich, ob glücklich oder unglücklich, als ein Geschenk des Himmels auffaßte. Nicht die jungfräuliche Keuschheit wurde von unseren Vorfahren in der Alten Rus besungen und gepriesen, sondern die keusche Gattin - die Ehe ist rein und das Lager - unbefleckt". Die alleinige Gattin eines alleinigen Gatten - das war das Lebensideal der rechtgläubigen Rus. Ober dem russischen Schloß lagerte sich nicht der zauberhafte Nebel feiner Liebeskünste, wie er die Ritterburgen im Westen einhüllte.

Die "rechtgläubige Fürstin" ist eine treue Gattin, und die Gattenliebe ist schlicht und psychologisch ungeteilt... sie läßt ihre Reize nicht spielen, sondern sie ist still, sanft, mildtätig, oftmals überaus geduldig und gewöhnlich immer verzeihend. Eine solche Liebe wird in Lebensbeschreibungen einigen Bylinen und Legenden, auch in "Klageliedern" dargestellt.

Das altrussische christliche Ideal der Weiblichkeit ist in der Zeit der Entstehung unserer geistigen Kultur zusammen mit dem orthodoxen Glauben zu uns gekommen und hat sich in der russischen Seele und Phantasie zutiefst verwurzelt. Bis zum 20. Jahrhundert sind in unserer ganzen russischen Kultur immer neu aufkeimende Triebe zu verfolgen. Und in der russischen schöngeistigen Literatur offenbaren die Frauengestalten, sind sie ihrer geschichtlichen Hüllen entkleidet, das gleiche Ideal keuscher Weiblichkeit, dem in der Alten Rus unsere "rechtgläubigen Fürstinnen" in ihren Martyrien treu geblieben sind. Diese Gestalten sind der russischen Seele nur deshalb nahe und vertraut, weil wir des Nachlasses der Ahnen noch nicht gänzlich verlustig gegangen sind.

Ein anderes Wesensmerkmal der rechtschaffenen Frau in der Alten Rus ist es, daß das Witwentum als eine sehr fromme Tat angesehen wurde. Und dieses Schicksal mußte man würdevoll ertragen. Das Witwentum darf nicht ungestaltet oder formlos sein, das ist kein zufälliges Mißgeschick, das mehr oder weniger zu ertragen ist. Die "rechtgläubigen Fürstinnen" haben sich gewöhnlich ein zweites Mal nicht verehelicht (obzwar die Kirche eine Zweitehe nicht verbot). Die Nonnenweihe - die Verlobung mit dem Himmlishen Bräutigam - war der Weg, der dem Ideal der christlichen Vollkommenheit mehr entsprach. Viele Witwen nahmen gleich nach der Beisetzung des Gatten den Schleier. Damals war es in fürstlichen und Bojarenkreisen so Brauch, daß verwitwete Frauen ins Kloster gingen. Eine Witwe, die den Nonnenschleier genommen hatte, bezeugte dem russischen Volk, wie man dem alleinigen Gatten auch über dessen Tod hinaus treu bleiben konnte. So viele altrussische Fürstinnen haben ihrem Witwenstand durch den Eintritt in ein Kloster ein Ende gesetzt, daß sie sich gar nicht alle aufzählen lassen. Nur einige von ihnen seien erwähnt, so die Witwe von Jaroslaw dem Weisen - die Nonne Anna. Die Witwe von Fürst David von Smolensk, die gleich nach dem Tode ihres Gemahls die Nonnenweihe empfing (1197). Die Witwe von Konstantin Wsewolodowitsch, dem Fürsten von Wladimir und Susdal, ließ sich bereits am Sarge ihres Gemahls während des Totenamtes zur Nonne weihen (1218).

Die Witwe des Fürsten Wassili Konstantinowitsch von Rostow, der zu Lebzeiten von Batu 1237 ums Leben kam. Die Witwe von Dowmont (Timofei), dem Fürsten von Pskow, die Schimanonne Marfa, Enkelin des hl. Alexander Newski die Witwe von Feodor Tschorny, dem Fürsten von Jaroslawl (1299), Fürstin Anna, als Nonne - Anastassia. Die Witwe des Fürsten Feodor von Rostow, Fürstin Maria, nahm am Sterbetag ihres Gemahls den Schleier (1355). Die Witwe von Jaroslaw Jaroslawitsch, dem Fürsten von Twer, Fürstin Xenia, als Nonne - Maria.

Die Witwe des Großfürsten Michail von Twer, Anna von Kaschin (Schimanonne Anna). Die Witwe des Fürsten Dmitri von Twer, Fürstin Maria, ging nach dem Tode ihres Gemahls in der Goldenen Horde noch im gleichen Jahr ins Kloster (1325). Die Witwe des Großfürsten Simeon des Stolzen, Fürstin Alexandra, als Nonne - Maria, die Mutter des hl. Michail Klopski. Die Witwe des Großfürsten Dimitri Donskoi, Fürstin Jewdokija, als Nonne - Jewfrossinija, und viele andere...

Genauso wohlanständig war auch die Stellung einer geschiedenen Frau - einer ungeliebten oder gleichgültig gewordenen Gattin. Das war im Grunde genommen eine Art Witwenstand: eine Frau, die den noch lebenden Gatten verloren hatte, war sozusagen verwitwet. Nach Schriftdenkmälern zu urteilen, waren die Grundfesten des Familienlebens bisweilen labil. Die Kirche mußte für die kirchliche Ehe und für eine einzige, legitime Gattin eintreten, sie wandte sich entschieden gegen ungesetzliche Ehen und eigenmächtige Scheidungen. In den "Geboten" des Metropoliten Georgi (11. Jh.) findet sich die Weisung, niemanden zu trau en, der nach eigenmächtiger Scheidung "eine dritte Frau haben will". In der "Regel" des Metropoliten Ioann (Ende des 11. Jh.) wird die Geistlichkeit angewiesen, denjenigen, "die ohne Scham zwei Frauen besitzen", nicht mehr das Abendmahl zu verabreichen. Die Zivilgesetzgebung und die Kirche nahmen die gesetzmäßige Gattin und die Erbrechte ihrer Kinder in Schutz. In einer Chronik (1173) werden Unstimmigkeiten in der Familie des Halitscher Fürsten Jaroslaw Osmomyssel erwähnt. Zwistigkeiten gab es auch in der Familie des Pskower Fürsten Jaroslaw Wladimirowitsch und seiner Gemahlin Jewfrossinija (Tochter des Polozker Fürsten Rogwold Borisowitsch). Der Fürst hatte seine Gemahlin verlassen und in Livland eine Deutsche geheiratet. Durch die neue Ehe ging die Stadt Odenpe in seinen Besitz über. Die verlassene Fürstin Jewfrossinija nahm den Schleier, bekam den Namen Jewpraksija und gründete in Pskow das Nonnenkloster zum hl. Johannes dem Vorläufer, dem sie bis zu ihrem Tode als Äbtissin vorstand. Im Jahre 1243 wurde sie, als sie sich einmal nach Odenpe begab, von ihrem Stiefsohn umgebracht In der örtlichen Gegend wurde sie als Märtyrerin ziemlich früh verehrt, denn am zehnten Tag nach ihrem Hinscheiden war von dem Heiligenbild bei ihrem Sarg ein Zeichen ausgegangen. Recht betrüblich hatte sich auch das Familienleben der Fürstin Feodossija, der Mutter des heiligen rechtgläubigen Fürsten Alexander Newski, gestaltet. Nachdem ihr Vater, Mstislaw Udaloi, von der ehelichen Untreue seines Schwiegersohnes (Jaroslaw Wsewolodowitsch, Fürst von Wladimir und Susdal) Kunde erhalten hatte, holte er 1216 seine Tochter von ihm weg und schlug alle Bitten, sie wieder zurückzubringen, mit den entschiedenen Worten ab: "Sie hat schon genug Leid von ihm erfahren... soll er lieber allein leben, als in ihrer Gegenwart mit seinen Liebsten...". Späterhin wurde Feodossija aber trotzdem zu ihrem Gatten zurückgebracht. 1244, zwei Jahre vor dem Tode ihres Gemahls, hauchte sie in Nowgorod als Nonne Jewfrossinija ihre Seele aus. In dieser Stadt gedachte man ihrer voller Verehrung.

In der Alten Rus wurde eine Frau, die der Gatte freigelassen hatte und die Nonne geworden war, "Pustscheniza" genannt. Zu diesen Freigelassenen sind nicht nur die verlassenen Gattinnen, die den Nonnenschleier nahmen, sondern auch diejenigen hinzuzurechnen, die das vor ihrem Tode mit dem Einverständnis des Gatten taten. Die Chronik weiß zu berichten, in welch rührender Weise die schwerkranke Großfürstin Maria vor ihrer Abreise ins Kloster von ihrem Gemahl, den Kindern, den vertrauten Menschen und der Dienerschaft Abschied nahm. Sie war die Gattin des Großfürsten Wsewolod. Wie die Chronik besagt, hat Fürstin Maria, eine kinderreiche Mutter und sehr tugendsame Frau, mit der Einwilligung ihres Gemahls und dem bischöflichen Segen in Wladimir das Jungfrauenkloster zu Mariä Entschlafen, das sogenannte "Fürstin-Kloster", gegründet. Als sie nach siebenjähriger Krankheit ihr nahes Ende fühlte, da bat sie den Gatten, das Fürstenhaus verlassen und in das neue Kloster übersiedeln zu dürfen. Im Kloster empfing sie die Nonnenweihe und wurde Marfa genannt. Danach lebte sie noch achtzehn Tage. In ihre Zelle ließ sie niemanden von den Weltlichen ein, nur ihre Tochter Wseslawa. Sie verschied am 19. März 1205.

Den Nonnenschleier haben vor dem Tode noch zu Lebzeiten des Gemahls auch die Großfürstin Feodossija - die Mutter des heiligen rechtgläubigen Fürsten Alexander Newski -, die Großfürstin Jelena - die Gemahlin von Iwan Kalita, 1331 als Schimanonne gestorben, sowie die Gattin von Simeon dem Stolzen Anastassija - genommen. So haben Sich im alten Rußland überhaupt viele Männer und Frauen auf ihren Heimgang vorbereitet.

Alle diese Nonnenweihen von Fürstinnen waren möglich, weil sie sich von dem lebendigen Glauben leiten ließen und sich in den Willen Gottes geschickt hatten. Möglich wurden sie auch deshalb, weil die Menschen in der Alten Rus sehr gläubig waren, weil in den Familien täglich gebetet wurde, weil man sich streng an die Fasten hielt, großes Mitgefühl mit Armen und Schwachen besaß, überaus gastfreundlich war, eifrig die Kirche besuchte, die Heilige Schrift, die Psalter und Heiligenviten las. Das alles brachte das weltliche und das geistliche Leben einander näher. Zwischen ihnen bestand nicht die Kluft, wie es später der Fall war... Bei einer altrussischen Fürstin gingen das irdische und das weltentrückte Dasein leicht und ungehindert einander über.

In der Seele einer jeden Vertreterin der höchsten Kreise der Alten Rus lebte im Grunde genommen eine Nonne. Eine Fürstin oder Bojarin wußte ganz genau, daß sie früher oder später einmal den Schleier nehmen werde, und darauf bereitete sie sich seelisch und geistig vor. Das Klosterleben existierte ganz in der Nähe, neben dem Schloß, es war vorausbestimmt durch schwere Erschütterungen im Leben und auch das beste Mittel, um es würdig zu beschließen: entweder vor dem Tode oder bereits in jungen Jahren wurden unverheiratete Fürsten- und Bojarentöchter dem Himmlischen Bräutigam anverlobt.

In Rußland wurden das Leben und das persönliche Schicksal der Gemahlinnen von Fürsten und Bojaren durch die festen religiös - ethischen Grundpfeiler bestimmt, aber nur wenigen war es beschieden, in die Schar der "heiligen rechtgläubigen Fürstinnen" aufgenommen zu werden. In ihrer Tugendhaftigkeit und in ihrem treuen Glauben zur Orthodoxen Kirche gleichen die heiligen Fürstinnen einander, dennoch gibt es einige Unterschiede. Die heiligen Fürstinnen (und Fürstentöchter) der Kiewer Rus ähneln mehr byzantinischen Kaiserinnen und Kaisertöchtern als den "rechtgläubigen Fürstinnen" der Tatarenepoche. Das ist darauf zurückzuführen, daß die alte Rus mit Byzanz in Politik und Handel regen Umgang pflegte und mit diesem durch verwandtschaftliche und kulturelle Beziehungen verbunden war. Ferner übte auch die kirchliche Aufklärung einen starken Einfluß aus.

Nach der Taufe der Rus finden byzantinische Schriften in slawischen Übersetzungen bei uns sehr rasch Verbreitung; sie lieferten nicht nur Beispiele für ein Einsiedlerleben, sondern auch für irdische Heiligkeit Mehrere Vertreterinnen des Kaiserhauses und der byzantinischen Aristokratie wurden für ihre Verdienste um die Kirche und für große Frömmigkeit heiliggesprochen. An ihnen frappieren ihr großartiger Lebenswandel und ihre herausragenden Taten, denen die byzantinische Kultur ihr Gepräge gegeben hat Sie bekämpften ebenfalls jegliche Ketzerei, bekannten sich getreulich zum orthodoxen Glauben, hatten tiefe Kenntnis von der Heiligen Schrift, der Theologie und der Philosophie, übten auf die Kaiser und Herrscher einen wohltuenden Einfluß aus, regierten bisweilen auch mit, befaßten sich weitreichend mit kirchlicher Aufklärung und verrichteten Wohltaten, oder aber sie kehrten sich von der Welt ab und entflohen in Höhlen und in Wüsten... und schließlich führten sie offen oder insgeheim einen bisweilen sehr strengen, asketischen Lebenswandel: sie fasteten, schlugen ihr Ruhelager auf Steinen auf, trugen ein härenes Gewand und lebten jahrelang in völliger Abgeschiedenheit. Rufen wir uns einige heilige Namen ins Gedächtnis zurück.

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2. Die heilige Frauen des 3. bis 6. Jahrhunderts: hl. Helene, hl. Olympiada, hl. Pulcheria, sel. Theodora, sel. Theofania, ehrw. Sinklitikia (350), hl. Jungfrau Alexandra (376), hl. Platonida, ehrw. Fewronia (310), ehrw. Ewpraxia, ehrw. Efrosinia (445), ehrw. Matrona, (492), ehrw. Afanasia von Ägina, ehrw. Maria von Ägypten (881), ehrw. Anfusa die Ältere (759), ehrw. Theoktysta (840), und noch viele andere...

Die heilige apostelgleiche Helene, die Mutter des apostelgleichen Kaisers Konstantin. Auf Bitte ihres Sohnes brach sie als schon 85jäbrige Greisin zum Heiligen Land auf, um das Kreuz des Herrn und die Orte der in den Evangelien geschilderten wichtigsten Ereignisse ausfindig zu machen. Kaiser Konstantin hatte sich einer solch erhabenen Mission nicht für würdig befunden, denn er hatte auf den Schlachtfeldern viel Blut vergossen... Die Nachforschungen und Ausgrabungen waren von Erfolg gekrönt, denn man entdeckte die Grotte von Betlehem, das Grab des Herrn, d. h. die Auferstehungsgrotte, und unweit von ihr wurde auch das lebenspendende Kreuz aufgefunden. Die Aufstellung des Kreuzes des Herrn - ein Ereignis von weltweiter Bedeutung - erfolgte in den Ostertagen des Jahres 326. Ein Jahr später - am 28. August 327 - segnete die heilige Helene in Konstantinopel das Zeitliche.

Die heilige Diakonissin Olympiada (368). Eine reiche Waise von vornehmer Herkunft, war sie von Kindheit an von der Schwester des Bischofs Amphilochios - der tugendhaften und wohltätigen Feodossia, einer sehr vernunftbegabten und hochgebildeten Frau, erzogen worden. Mit sechzehn Jahren wurde Olympiada mit Nebridios, dem Präfekten von Konstantinopel, vermählt. Nach zwanzig Monaten wurde sie Witwe und widmete ihr Leben daraufhin ganz der Kirche. Ihre Wohltätigkeit kannte keine Grenzen: die Kirchen, Klöster, Bischofsdiösen, Fremdenherbergen, Spitäler - alle erhielten von ihr reichliche Gaben. Obwohl sie erst dreißig war und nicht sechzig, wie es die Satzung vorschrieb, wurde sie von dem Patriarchen aufgrund ihres eifrigen. Dienens für die Kirche zur Diakonissin geweiht. Sie besuchte Gefangene, unterstützte Verbannte, bereitete Menschen auf die Taufe vor, half bei Gottesdiensten... Nachdem Johannes Chrysostomos Patriarch von Konstantinopel geworden war, da wurde sie seine geistliche Tochter und ging ihm in Kirchendingen eifrig an die Hand. Als dann Verfolgungen gegen ihn einsetzten, wurde auch Olympiada nicht verschont. Von aufrechter Natur, scheute hl. Johannes nicht vor Entlarvungen zurück, was ihm von Seiten der Kaiserin Eudokia und einigen Kirchenvertretern große Anfeindungen einbrachte. Die Sache endete damit, daß man ihn zunächst nach Withien und dann in das ferne Armenien verbannte, wo er 407 das Zeitliche segnete. Auch Olympiada wurde nicht in Ruhe gelassen: sie wurde verleumdet, vor ein Gericht gestellt und durch eine hohe Geldstrafe völlig ruiniert. Dann verbannte man sie nach Nikomedien, wo sie auch starb. Über die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem hl. Johannes und Olympiada geben siebzehn erhalten gebliebene Briefe Aufschluß, die Olympiada aus der Verbannung geschrieben hatte.

Die heilige Kaiserstochter Pulcheria, in Geschichte, Philosophie und Theologie überaus bewandert, war zunächst die Mitregentin ihres jüngeren Bruders - des Kaisers Feodosios II.- und hat späterhin selbständig geherrscht. In ihren jungen Jahren hatte sie sich Keuschheit gelobt. Sie verbrachte ihre Zeit mit Beten und Fasten und verrichtete viele gute Werke. Sie gründete zahlreiche Wohltätigkeitseinrichtungen - Herbergen und Spitäler. Unter ihrer Regierung herrschten im Reich Ordnung und äußerer Frieden. Alle ihre Entscheidungen traf sie erst dann, nachdem sie gebetet und sich den Rat weiser Staatsmänner angehört hatte. Pulcheria war eine herausragende Kirchenpolitikerin. Ihr Name ist mit dem Ökumenischen Konzil in Ephesos (431) gegen die Ketzerei von Nestorios und mit dem Konzil von Chalkidon (451) gegen Eutichios verknüpft. Die Väter des Konzils würdigten ihre Rolle als Verteidigerin des orthodoxen Glaubens. 453 ging sie in die Ewigkeit ein.

Die Kaiserin Theodora, Gemahlin des Kaisers Theophil. Sie betete heimlich zu Heiligenbildern und hielt ihren Gatten vor der Verfolgung von Ikonenverehrern zurück. 842 verwitwet, wurde sie die Regentin ihres minderjährigen Sohnes. In ihrem ersten Regierungserlaß verfügte sie die Einstellung der Verfolgungen wegen Bilderanbetung. Während ihrer Regentschaft wurde der Feiertag des "Triumphes des orthodoxen Glaubens" eingeführt. Ihr Leben beschloß sie 867 in einem Kloster, acht Jahre zuvor hatte sie die Nonnenweihe empfangen.

Die selige Kaiserin Theofania, Gemahlin des Kaisers Leo. Die ersten Jahre verbringt sie mit ihrem Gatten in einer Festung, wohin er, von einem Höfling verleumdet, von seinem Vater verbannt wurde. Das weitere Leben der seligen Theofania spielt sich in einem Palast ab. Rein äußerlich versinkt sie in Luxus und Pracht, befolgt jedoch insgeheim die Vorschriften einer strengen Askese: unter ihrem kaiserlichen Gewand trägt sie ein härenes Hemd, schläft auf dem nackten Fußboden und fastet. Ihr christlicher Sinn offenbart sich in der unermüdlichen Hilfe für die Armen und in ihrem sanftmütigen Verhalten zu den Untergebenen. Sie hauchte 892 ihr Leben aus.

Im ebendemselben Byzanz haben zahlreiche fromme Einsiedlerinnen gelebt, die uns durch ihre strenge Askese in Erstaunen versetzen. Und überall - in den Wüsten von Syrien, Palästina, Mesopotamien und Ägypten sowie auf hellenischen Inseln - haben sie leuchtende Spuren ihrer Großtaten hinterlassen, so die ehrwürdige Sinklitikia, die wie Antonius der Große das Einsiedlerleben in Ägypten begründet hatte (350). Die heilige Jungfrau Alexandra hatte zwölf Jahre lang als Einsiedlerin in einer Grabhöhle unweit von Alexandria zugebracht, nur einmal am Tag nahm sie etwas Brot zu sich (376). Die heilige Diakonissin Platonida, Begründerin einer Jungfrauen - gemeinschaft in den Bergen von Mesopotamien. Aus diesem Kloster waren einige bemerkenswerte Glaubensstreiterinnen hervorgegangen, so die ehrwürdige Fewronia, die während der grimmigen Verfolgungen unter Diokletian zu Tode gefoltert wurde (310). Die ehrwürdige Ewpraxia, Tochter eines reichen Senators (zu Lebzeiten des Kaisers Theodosius). Nachdem sie ihre Eltern verloren hatte, teilte sie ihre ganze Habe unter den Armen auf, ließ die Sklaven frei, verzieh den Schuldem und begab sich nach Ägypten, um in einem Kloster mit strengster Ordnung zu dienen: in der Nahrung durfte es nichts Wohlschmeckendes gegen (kein Wein, kein Olivenöl und keine Früchte). Die Nonnen aßen jeden zweiten, manchmal auch jeden dritten und vierten Tag, sie trugen ein härenes Gewand, verrichteten schwere Arbeiten und gehorchten der Vorsteherin aufs Wort; Kranke wurden nicht geheilt, denn der Herr bringt selbst die Genesung, und mit der Außenwelt gab es keinerlei Umgang (die Pförtnerin ausgenommen). Die ehrwürdige Ewpraxia entschlief 410 im Alter von dreißig Jahren.

Die ehrwürdige Efrosinia, die achtzehn Jahre lang in einem Mönchskloster bei Alexandria als sogenannter Novize ein abgeschiedenes Leben geführt hatte (445). Die ehrwürdige Matrona, die zusammen mit dem ganzen Kloster mutig gegen die Ketzerei der Monophysiten ankämpfte (492). Die ehrwürdige Afanasia von Ägina, geistesverwandt mit der ehrwürdigen Maria von Ägypten (881). Die ehrwürdige Anfusa die Ältere (759). Die ehrwürdige Theoktysta (840) und noch viele andere...

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3. Die heilige Frauen der mittelalterlichen Rußland (10. - 14. Jahrhunderts) bis zur Zeit der Tatarenjochs.

Das Beispiel der östlichen Einsiedlerinnen machte bei ihren russischen Schwestern keine Schule - es lockte sie nicht in die Wüste - (bei uns verlief das Nonnenleben in milderen Formen), dafür haben unsere "rechtgläubigen Fürstinnen" in der Kiewer Periode ihre ersten Schritte als Glaubensverfechterinnen getan.

Die apostelgleiche Fürstin Olga (969) war die erste getaufte russische Fürstin, eine weise Herrscherin und umsichtige Diplomatin. Die heilige Anna (ihr weltlicher Name war Ingigerda - Irina, Tochter des Schwedenkönigs Olaf) - Gemahlin von Jaroslaw dem Weisen, in der Rus die erste Fürstin, die den Nonnenschleier nahm, förderte zusammen mit ihrem Sohn, dem Nowgoroder Fürsten Wladimir Jaroslawitsch, die Errichtung der berühmten Sophienkathedrale in dieser Stadt (1050).

Die heilige Anna (Janka), die Schwester von Wladimir Monomach, war in der Rus die erste Fürstentochter, die Nonne wurde und dann dem Kiewer Nonnenkloster zum hl. Andreas vorstand (1112). Sie führte in ihrem Kloster eine Ordnung ein, die sie aus Konstantinopel mitgebracht hatte. Sie hatte dort Anverwandte ihrer Mutter, einer gebürtigen byzantinischen Prinzessin, besucht. In "Jankas" Kloster, wie es genannt wurde, bat auch Mariza - die Tochter von Wladimir Monomach - die Nonnenweihe empfangen.

Ende des 12. Jahrhunderts taucht in unserer Hagiographie die heilige Jefrosinija von Polozk (ihr weltlicher Name war Predslawa) auf. Sie war die Tochter des Polozker Fürsten Georgi. Sie war eine hochgebildete Glaubensstreiterin, hat eifrig heilige Bücher abgeschrieben und viele Reisen unternommen. In ihren jungen Jahren hatte sie den Schleier genommen und Zunächst als Einsiedlerin bei der Sophienkathedrale in Polozk gelebt. Das Entgelt, das sie für das Abschreiben heiliger Bücher bekam, teilte sie an die Armen aus. Späterhin gründete sie mit dem Segen des Bischofs Ilia bei Polozk bei der Erlöserkirche am Selzo ein Nonnenkloster, wohin auch bald vier ihrer weiblichen Verwandten kamen. In der Folgezeit hat sie in Polozk auch ein Mönchskloster gegründet. Eine große Verehrerin von Griechenland und dem Orient, hat die heilige Jefrosinija bereits in vorgerücktem Alter (nachdem sie 40 Jahre lang Äbtissin war) den Wunschtraum ihres ganzen Lebens wahr gemacht - sie unternahm eine Pilgerreise in das Heilige Land. Unterwegs traf sie mit Kaiser Manuel zusammen, der ihr zuvor ein kostbares Geschenk - eine Kopie des Hodigitria - Muttergottesbildes - nach Polozk übersandt hatte.

Nun geleitete er sie "in großen Ehren" bis nach Konstantinopel. Hier besuchte die Heilige den Patriarchen Lukas und reiste dann weiter. In Jerusalem verneigte sie sich vor dem Grabe des Herrn und badete im Jordan. Bald darauf wurde sie krank und ging nach 24 Tagen in die Ewigkeit ein (1173). Vor ihrem Tode hatte ihr ein Engel verkündet, daß ihr die Pforte zum Paradies offenstehe... Beigesetzt wurde sie in der Vorhalle der Kirche im Kloster des ehrwürdigen Theodosius. Späterhin, wahrscheinlich 1187, als Saladin seinen Angriff auf Jerusalem unternahm, wurden ihre sterblichen Überreste nach Akra und von dort aus in die Kiewer Höhlen überführt.

In den "rechtgläubigen Fürstinnen" der Kiewer Periode ist das Streben zu spüren, der Kirche und der Gesellschaft dienlich zu sein und geistige Aufklärung zu erlangen. Infolge des Tatareneinfalls wurden die Frühjahrsblumen jedoch niedergetreten, und die russischen Fürstinnen mußten ihr öffentliches Dienen für die Kirche aufgeben. Sie wurden in ihre Schlösser und Klosterzellen verbannt, wo sie zu beten und stillschweigend zu leiden hatten. Sie teilten das bittere Los ihrer Gatten und Familien, beweinten das russische Volk, das unter dem Tatarenjoch schmachten mußte... Manche von ihnen haben der Kirche zwar auch weiterhin gedient, haben mit der Einwilligung des Gatten und mit bischöflichem Segen Klöster gegründet oder Kirchen erbauen lassen, obgleich Fürstinnen, die ihren Gemahl verloren hatten und deren Söhne noch minderjährig waren, das Recht hatten, auf ihrem "Witwenthron" zu sitzen, die Domänen des Gatten zu erben und an den Bojaren - Versammlungen teilzunehmen, aber das waren in der Tataren zeit Ausnahmen, sie konnten auf das Leben keinen Einfluß nehmen. Wie sehen doch unsere Fürstinnen angesichts des byzantinischen religiösen Glanzes rührend bescheiden und unscheinbar aus! Wohl niemandem, außer uns Russen, ist es verstattet, die zarte Schönheit des vor der ganzen Welt verborgenen sanftmütigen Leidens, das Zittern des wehrlosen Opfers und die unendliche Geduldsamkeit unserer rechtschaffenen Frauen nachzuempfinden... Um sich vorstellen zu können, welchen Leidensweg sie gegangen sind, muß man sich wenigstens in allgemeinen Zügen die furchtbare Wirklichkeit, "Tatarenjoch" genannt, ins Gedächtnis zurückrufen.

Die Rjasaner Lande waren als erste dem Ansturm der Tataren ausgesetzt. An ihren Grenzen fanden zusammen mit dem Heer auch sechs tapfere Rjasaner Fürsten den Tod. Tragisch war auch das Ende der Rjasaner Fürstinnen. Die Fürstin Jewpraksia sprang vom Glockenturm der Nikolauskirche (nach einer anderen Quelle -"von einem hohen Schloßturm") in die Tiefe, ihre Schwiegermutter, die Fürstin Agrafena, wurde mit noch anderen Schwiegertöchtern und Fürstinnen von den Ungläubigen in einer Stadtkirche niedergemetzelt; der Bischof kam in der brennenden Kirche um, alle Menschen wurden in Stücke gehauen oder im Fluß ertränkt - "überall lagen Tote herum... und es war nicht einmal jemand da, der sie hätte beweinen können..." Bei der Einnahme von Moskau bot sich das gleiche wüßte und grausame Bild: "den Fürsten nahm man mit bloßen Händen gefangen", die Einwohner aber wurden allesamt erschlagen, die Stadt, die Dörfer, die Kirchen und Klöster - eingeäschert... "Seit der Taufe hatte es solche ungeheuerlichen Missetaten nicht gegeben..." (Lawrenti - Chronik, 1237). Bald darauf fiel auch Susdal. Die Kirchen wurden ausgeplündert und der Fürstenhof niedergebrannt. Unbarmherzig gingen die Tataren auch mit der Bevölkerung um: "Mönche und Nonnen, Greise und Popen Blinde und Lahme, Krüppel und Kranke - alle wurden sie umgebracht, die jungen Leute nahmen sie gefangen und führten sie mit sich fort in ihr Lager, selbst aber wandten sie sich nach Wladimir...". Juri Wsewolodowitsch, der Großfürst von Wladimir und Susdal, wollte die Stadt nicht verteidigen. Er hatte in aller Eile eine Kriegerschar zusammengeholt, um den Feind an den Flußufern des Sit zum Stehen zu bringen. Wladimir wurde in seiner Abwesenheit eingenommen. Dabei kam die gesamte großfürstliche Familie ums Leben. Die beiden Söhne wurden auf den Stadtmauern gefangengenommen. Die Fürstin Agafja, ihre Töchter Feodora und Feodossia, die Schwiegertöchter Maria und Christina, die Enkelkinder und viele Bojaren und Bojarinnen kamen in der Marienkirche, die die Tataren in Brand gesteckt hatten, zusammen mit dem Wladyka Mitrofan und noch vielen anderen Menschen im Rauch und Feuer um. Am Sit war ein verzweifelter Kampf entbrannt, doch vergeblich - das russische Heer wurde zerschlagen, der Großfürst Juri wurde gefangengenommen und enthauptet. In der Schlacht fiel auch sein Neffe, der unerschrockene und unendlich tapfere Fürst Wassili von Rostow. In der Chronik findet man über ihn begeisterte Worte: "Schön von Angesicht, mit hellen und furchtgebietenden Augen, war er mutig und tapfer, hatte ein gutes Herz und ging mit den Bojaren sanft um. Wer ihm einmal gedient, mit ihm zusammen das Brot verzehrt und Wasser aus seinem Becher getrunken hatte, der konnte ihn schon nicht mehr vergessen, konnte keinem anderen Fürsten dienstbar sein...". Die Tataren boten ihm bei seiner Gefangennahme an, auf ihre Seite überzutreten. Aber Wassili wies dieses Angebot zornig zurück - und wurde getötet.

Die russische Kirche hat ihn als einen Märtyrer heiliggesprochen (Gedenktag - 4. März). Er war in gerader Linie der Urgroßvater der rechtgläubigen Fürstin Anna von Kaschin. Seine Märtyrergestalt wurde den Nachkommen stets als Vorbild hingestellt, damit sie nie verzagen, sondern Willensstärke bekunden.

Der ganze weitere Weg von Batu waren Blut, Rauch und Feuer... wo er auch immer hinkam, seien es Twer... Torshok... und dann schon in den Nowgoroder Landen. Unweit von Staraja Russa (etwa 100 Werst von Nowgorod) konnten die Tataren infolge der verschlammten Wege nicht mehr weiter, sie machten kehrt und wandten sich nach Süden, wobei sie unterwegs den erbitterten Widerstand von Koselsk überwanden. Sie hatten die ganze nordöstliche Rus in ihre Gewalt gebracht. Aber die russischen Menschen ließen auch jetzt nicht den Mut sinken: es gab noch eine letzte Hoffnung, denn vorläufig gab es noch Kiew und die südwestlichen russischen Lande. Aber es dauerte nicht lange, und auch sie waren bezwungen. 1239 nahm Batu Perejaslawl und Tscbernigow ein. 1240 ergab sich nach einem verzweifelten Kampf auf den Stadtmauern auch Kiew, danach eroberten die Tataren Wolyn und Halitsch. Die Einnahme von Kiew hatte das russische Volk mächtig erschüttert. Das war das Ende... Nun stand die uneingeschränkte Herrschaft der Tataren bevor, die überall Schrecken verbreiteten... verwüstete Städte, eingeäscherte Kirchen, Klöster und Dörfer, unzählige Gefangene, die in unbekannter Richtung fortgetrieben und auf irgendwelchen asiatischen Sklavenmärkten verkauft wurden, zahlreiche ermordete wackere Fürsten, Einwohner, die sich in Wäldern, Sümpfen und Schluchten verbargen... alles war aus den Fugen geraten, niemand wußte genau, wohin er blicken und seine Schritte lenken sollte...

Und trotzdem vermochten die Tataren die Lebenskraft des russischen Volkes nicht zu brechen. Das Volk söhnte sich mit der nationalen Katastrophe nicht aus - es trauerte, klagte, murrte, weinte und betete, hatte seine lebendige Stimme nicht eingebüßt. Wer den Mut sinken lassen wollte, den stärkten der Glaube an Christus, die Liebe zu den Russischen Landen und die Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit. Das bezeugen hervorragende Literaturdenkmäler aus jener Epoche, wie "Der Untergang der Russischen Lande" und das "Jammergeschrei der Lande wegen des Tatareneinfalls". In Gestalt einer kinderlosen, einsamen Witwe beklagt die Russische Erde ihr unglückliches Volk: "...Und da hub die Erde selbst wie eine kinderliebende Mutter zu weinen an... O Söhne, meine russischen Söhne!... Weshalb tretet ihr in eurer Herzenslust vor Gott bin, der euch doch erschaffen hat? O meine Kinder, die ihr Euren Herrn und meinen Schöpfer und Gott erzürnet habt...". Die Verkörperung der Russischen Lande in Gestalt einer wehklagenden, sich härmenden Frau war damals in der ganzen Rus gang und gäbe. In diesem "Klagelied" verschmolzen Dichtung und Wahrheit miteinander inniglich. Von dem furchtbaren Mißgeschick, das über das ganze Volk hereingebrochen war, sprach auch laut und vernehmlich die russische Kirche in ihren Belehrungen und Predigten im 13. Jahrhundert. Da die Tataren in Glaubensdingen tolerant waren, billigten sie der Kirchenhierarchie verschiedene Rechte und Vergünstigungen zu und mischten sich, so unglaublich das angesichts des Joches auch scheinen mag, nicht in die Kirchenleitung ein – vom Altar aus wurde also die Wahrheit gesprochen. Diese Wahrheit erforderte es in der ersten Zeitperiode des Tatarenjochs, daß das Volk der Sünden und der Gesetzlosigkeiten überführt wurde. Die ganzen Schrecken und Greuel dieser Invasion waren ein Ausdruck von Gottes Zorn - eine nie dagewesene furchtbare "Strafe".

So klingen die von Herzenswärme erfüllten Belehrungen des Bischofs von Wladimir, Serapion: "...Und da ließ der Herr ein unbarmherziges, ein grimmiges Volk über uns kommen, das weder jugendliche Schönheit noch altersschwache Greise noch kleine Kinder verschonte, denn wir haben unseren Gott erzürnt... Unsere Fürsten und Heerführer sind nicht mehr stark; unsere Tapferen sind voller Angst geflohen, haben das Weite gesucht; und noch mehr von unseren Brüdern und Kindern wurden in die Gefangenschaft getrieben; unsere Felder sind von Gras überwuchert und unsere einstige Größe und unsere Schönheit sind dahin und entschwunden, unsere Reichtümer und der Lohn unserer Arbeit sind Fremdstämmigen zugefallen, wir werden von unseren Nachbarn geschmäht, von unseren Feinden verspottet...".

Die Kirche erläuterte, welche geistigen Ursachen das Geschehene hatte, sie munterte die eingeschüchterten Menschen auf, spendete ihnen Trost und wies sie auf den Weg der Buße hin. In den Seelen herrschte äußerste Verwirrung. Die politische Abhängigkeit von den Tataren machte sich sofort bemerkbar. Überall setzten sie ihre Statthalter ein, die von bewaffneten Trupps umgeben waren. Das Volk wurde gezählt und tributpflichtig gemacht. Russische Fürsten begaben sich in die Goldene Horde, um diese milder zu stimmen... Die höchste Schicht des russischen Volkes wurde sich der ganzen Schwere der moralischen Unterdrückung bewußt, und die russischen Fürsten und ihre Bojaren waren in diesen Zeiten verschiedenerlei Versuchungen ausgesetzt. Schwache und Kleinmütige paßten sich nicht nur den Umständen an, sondern kehrten aus der Horde auch zufrieden und geschmeichelt zurück, wenn sie die Tataren empfangen und "in Ehren" wieder entlassen hatten. Aber es gab auch solche, die keinerlei " Ehrenbezeigung" trösten konnte. Auch Fürst Daniil Romanowitsch von Halitsch hatte man "in Ehren" ziehen lassen, aber er war sich voller Bitternis dieser Erniedrigung bewußt. Man hatte ihn zwar nicht gezwungen, einen Strauch oder das Feuer anzubeten, aber Stutenmilch hatte er kosten müssen, und diese Kränkung konnte er nicht verwinden. Daheim wurde er von seinem Bruder und seinen Söhnen in Empfang genommen, "und alle waren wegen dieser Kränkung recht bekümmert...".

"O die Tatarenehre ist das Schlimmste, was es geben kann!" - rief ein Halitscher Chronist aus. Andere Fürsten hielten getreulich an ihrem Glauben fest und erlitten dafür den Märtyrertod. So wurden der hl. Michail von Tschernigow und sein Bojar Feodor, der hl. Roman Olgowitsch von Brjansk grausam zu Tode gefoltert. Die düsterste Zeit des Tatarenjochs war die Epoche, angefangen von Batu bis hin zu den 30er Jahren des 14. Jahrhunderts. Die Teil - Fürstentümer waren ununterbrochenen Erschütterungen ausgesetzt und konnten die Rus politisch schon nicht mehr unterstützen. Nur die russische Sprache, der feste Glaube an Christus und an die Kirche konnten das Volk noch zusammenhalten. Und natürlich auch - das gemeinsame Schicksal...

Was haben in diesen schlimmen Zeiten der Unterjochung und Gewaltherrschaft, der ungewissen Existenz nun die russischen Fürstinnen getan? Wie sich das Leben der russischen Fürstinnen und Bojarinnen auch immer gestaltete und sich ihre Geschicke voneinander unterschieden, vereinte sie doch alle das gleiche Los - sie mußten sich alle Mißgeschicke und Kümmernisse auf ihre schwachen Schultern laden und bisweilen auch für die Folgen der Vergehen und Verirrungen ihrer Väter, Gatten und Söhne mutig einstehen. Sie hatten widerspruchslos ihr Kreuz zu tragen, das war nun einmal ihr Los als Frau. Ein wehrloses, unschuldiges Opfer - das war in der Rus der Inbegriff christlicher Heiligkeit. Ständiges Zittern um das Leben, unaufhörliche Unruhe, ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ungewißheit, was der andere Tag bringen würde - so sah es in der Zeit des Tatarenjochs mit der seelischen Verfassung der "rechtgläubigen Fürstinnen" aus. Während der ständigen Fehden zwischen den Fürsten und der verheerenden Feldzüge der Tataren mußten sie sich mit ihren Familien vor den feindlichen Kriegerscharen und den Kriegsschrecken mit ihrem schonungslosen Gemetzel, den Plünderungen und Feuersbrünsten immerfort verbergen... Bisweilen mußten sie zusammen mit ihren Gatten und Söhnen fliehen, ein anderes Mal - ihnen folgen. So floh die Gemahlin des Großfürsten Andrej Jaroslawitsch, der 1252 eine Erhebung anzettelte, die jedoch mißlang, aus den Susdaler Landen nach Pskow zu ihrem Gatten und von dort aus mit ihm gemeinsam nach Schweden. Als Tochtamysch mit seinen Heeren unverhofft bei Moskau auftauchte, da entfloh auch die Großfürstin Jewdokia zusammen mit ihrem Gemahl Dimitri Donskoi nach Kostroma. Während des Einfalls von Jedigei suchte auch Großfürst Wassili Dimitrijewitsch mit seiner Familie in Kostroma Rettung. Sie flüchteten, um sich das Leben zu erhalten, um nicht in Gefangenschaft zu geraten und nicht als Geiseln genommen zu werden.

Außer den katastrophalen Mißgeschicken hatten die "rechtgläubigen Fürstinnen" auch noch ihr eigenes bitteres Los als Frau zu ertragen. Wie oft waren sie über lange Zeit hinweg von ihren Gatten und Söhnen getrennt... Beim Abschiednehmen wußten sie niemals, ob diese wieder zurückkehrten (insbesondere, wenn sie sich in die Goldene Horde begaben). Sie verabschiedeten sich so von ihnen, als würden sie sich niemals mehr wiedersehen. Ein Leidensweg war den Fürstinnen auch bestimmt, wenn ihre Ehen vertraglich oder aus diplomatischen Erwägungen geschlossen worden waren. Ein Heiratskontrakt bedeutete manchmal Frieden zwischen kriegführenden Seiten oder aber ein Bündnis mit einem starken, gefährlichen Nachbarn.

Eine zutiefst gläubige Seele wird durch ein demütiges und geduldiges Ertragen von Leiden nicht hart, sie wirkt eher schlicht - erhaben, weil sie dem Willen des Herrn gehorcht und sich in ihr Schicksal gefügt hat. Gerade eine solche schlichte Größe ist für die "rechtgläubigen Fürstinnen" im 13. -16. Jahrhundert bezeichnend. Die meisten von ihnen wurden nur in ihrer engeren Heimat kirchlich verehrt. Ihre Sterbetage bzw. die Daten der Überführung ihrer Reliquien, ihre letzten Ruhestätten in irgendeiner Kirche oder in einem Kloster, eine flüchtige Erwähnung in Chroniken, eine kurze Schilderung ihres tugendhaften, strengen Lebenswandels... - das ist alles, was von ihnen übriggeblieben ist, was jedoch ausreichte, damit die Kirche und das russische Volk sie in ihren Gebeten jahrhundertelang nicht vergaßen.

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